Militärischer Nahkampf

Entwicklung und Prüfungsinhalte

Entwicklung der Militärsportart

Militärischer Nahkampf

Militärischer Nahkampf ist die allgemeine Bezeichnung für waffenlose Zweikampftechniken unter militärischen Einsatzbedingungen, die das Ziel haben, den eigenen Soldaten das Überleben in einem Zweikampf zu ermöglichen und gleichzeitig den Gegner möglichst schnell zu töten oder zumindest vollständig kampfunfähig zu machen.

SoldatenIn der Nationalen Volksarmee (NVA) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) war der Militärische Nahkampf aber auch die Bezeichnung für eine Militärsportart. Armeeangehörige trainierten die Nahkampftechniken in ihrer Ausbildung, aber auch in Übungsgruppen in ihrer Freizeit. Die Militärsportart "Militärischer Nahkampf" entstand offiziell erst 1986, sie war aber das Ergebnis einer jahrzehntelangen Entwicklung.

Bereits vor der Gründung der NVA im Jahre 1956 existierten in der DDR außer der Polizei (VP - Volkspolizei) bewaffnete Einheiten, die KVP (Kasernierte Volkspolizei). In beiden Behörden wurde auch Selbstverteidigung unterrichtet, wie das "Lehrbuch über Judo-Selbstverteidigung" März 1952, Verlag für Polizei-Fachliteratur GmbH, Berlin Wilhelmsruh, belegt. Diese Selbstverteidigung war noch sehr von den JIU-JITSU-Techniken der Vorkriegszeit geprägt und endete entsprechend der polizeilichen Aufgaben mit dem unter Kontrolle bringen des Angreifers durch Festlege- oder Transporttechniken.

Mit dem Aufbau der Nationalen Volksarmee in der ehemaligen DDR wurde natürlich auch Nahkampf in das Ausbildungsprogramm für die Militärische Körperertüchtigung (MKE)/ Physische Ausbildung (PhA) aufgenommen. Die Ausbildung war durch Dienstvorschriften (DV), ergänzende Anleitungen (A), Programme und Normenkataloge geregelt. Die Anforderungen an die Militärische Körperertüchtigung (MKE) waren in der DV 010/0/002 festgelegt.

Jeder Armeeangehörige hatte in seiner Ausbildung mindestens 2 Stunden Nahkampf mit Fecht-MPi zu absolvieren. Die "Fecht-MPi" war eine in Größe und Masse exakte Nachbildung der Standard-Handfeuerwaffe "Maschinenpistole Automat Kalaschnikow 1947" (MPi AK-47) und wurde speziell in der Physischen Ausbildung genutzt.

Aufklärer, Fernaufklärer, Fallschirmjäger und Kampfschwimmer hatten je nach Dienstlaufbahn erheblich mehr Ausbildungsstunden für den Nahkampf zur Verfügung und trainierten auch Selbstverteidigung und die waffenlose Abwehr von Angriffen mit Waffen.

 

Dabei veränderten sich die genutzten Techniken von 1956 bis 1986 vom alten JIU-JITSU zum modernen Militärischen Nahkampf. Das neue System sollte leicht erlernbar, effektiv, systematisiert und auch mit Ausrüstung auf dem Gefechtsfeld anwendbar sein.

Als Basis griff man auf Karate-Techniken zurück. Als Grundlage dienten der NVA hier vor allem Bücher des westdeutschen Karate-Pioniers Albrecht Pflüger, die über dunkle Kanäle beschafft werden konnten und von Enthusiasten, teils sogar handschriftlich, vervielfältigt wurden (z.B. erhielt auch der Autor so sein erstes Karate-Buch). Außerdem nutzte man Bewegungskomplexe aus dem Nahkampfprogramm der Sowjetischen Streitkräfte (siehe Ablauf Prüfungskomplex). Diese Karate-Grundlagen (Stöße, Blöcke, Tritte) wurden kombiniert mit ausgewählten Judo-Elementen (Fallschule, Hebel, Würgen, Würfe), Elementen des Gewehr-, Messer- und Spatenkampfes und der Selbstverteidigung. All dies wurde in einem System vereinigt.

Das aus der jahrelangen Vorarbeit letztlich eine Militärsport entstand, ist besonders auch dem persönlichen Engagement einiger Offiziere zu danken, z.B.:

  1. Oberstleutnant Michael Stölzner, Vorsitzender der Kommission Militärischer Nahkampf der Leitung der Sportorganisation der Landstreitkräfte und engagierter Verfechter der Nahkampfausbildung;
  2. Oberstleutnant Hans-Jörg Tännert, Fallschirmjägeroffizier, Ausbilder an der Offiziershochschule (OHS) der Landstreitkräfte, Übungsleiter einer Nahkampfübungsgruppe an der OHS Löbau;
  3. Major Dr. Dietmar Kircheis, Sportausbilder an der Offiziershochschule (OHS) der Landstreitkräfte, JUDO-DAN-Träger, Karate-Übungsleiter der Nahkampfübungsgruppe an der OHS Löbau, Fachberater für Nahkampf-Ausbildungsfilme des NVA-Armeefilmstudios in Berlin-Babelsberg;
  4. Hauptmann Andreas Förster, Sportoffizier im Fallschirmjägerbataillon-40 (FJB-40);
  5. Hauptmann Holger Arnold, Sportoffizier im Luftsturmregiment-40 (LStR-40);
  6. Hauptmann Frank Pelny, Truppen- und Grenzaufklärer, Autor der "Anleitung über die methodische Ausbildung im Gjogsul" und "Handbuch des Übungsleiters für den Militärischen Nahkampf", Mitwirkender am Ausbildungsfilm "Nahkampf: Wie ausbilden?".

Die Techniken und das Prüfungsprogramm des Militärischen Nahkampfes wurden in der "Anleitung für den Übungs-, Trainigs- und Wettkampfbetrieb in der Militärsportart Militärischer Nahkampf", herausgegeben 1986 von der Kommission Militärischer Nahkampf der Sportorganisation der Landstreitkräfte. Tgb.-Nr.: W/48/1986, festgeschrieben.

Prüfungsprogramm

Das Prüfungsprogramm bestand aus vier Graduierungsstufen:
Gelb-, Orange-, Grün- und Blaugurt. Eine Erweiterung für Braungurt und einen Schwarzgurt war vorgesehen, wurde aber nie realisiert.

Frank Pelny war der Erste in der DDR, der die Prüfung zum damals höchsten Blaugurt (2. Graduierung) am 21.10.1988 vor einer Kommission im Luftsturmregiment-40 in LEHNIN erfolgreich bestand.

Jede Graduierung wurde in fünf Bereichen geprüft:

  1. Athletiktest
    Dauer: 3 Minuten ohne Pause:

    • 1 min.   Anristen an der Sprossenwand   (5 Punkte pro Stück)
      (Aus dem Streckhang mit den Füßen die Sprossenwand über Kopf berühren)
    • 1 min.   Liegestütze auf den Faustknöcheln, wobei die Füße auf der drittuntersten Sprosse
      der Sprossenwand aufliegen und die Brust beim Liegestütz den Boden berühren muss   (3 Punkte pro Stück)
    • 1 min.   Seilspringen   (ab 50 je 1 Punkt pro Stück)
  2. Demonstrationsfähigkeit
  3. Angriffswirksamkeit
  4. Verteidigungsfähigkeit
  5. Kampfverhalten
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Zur Motivation und Verbesserung des Kampfverhaltens wurde auch ein sportliches Wettkampfsystem für den Militärischen Nahkampf geschaffen. Dabei bestand ein Wettkampf aus drei Wettbewerben:

  1. dem Athletikwettbewerb (entspricht dem Athletiktest)
  2. dem Technikwettbewerb (Einzelvorführung eines Prüfungskomplexes)
  3. dem Kampf (Freikampf je nach Qualifikation: 2x1 oder 2x2 Minuten, festgelegte Sicherheitsausrüstung von Schutzweste bis nur Mund- und Tiefschutz)

Speziell für den Wettkampf, aber auch zum Training der Angriffstechniken, wurde die Nahkampfweste-85 (NKW-85) entwickelt, die aus einem vollständigem Rumpfschutz mit Halsmanschette und zusätzlichen Unterarmmanschetten bestand. Diese Weste besaß eine ca. 5 cm dicke Polsterung und ermöglichte die Ausführung der Techniken mit ganzer Kraft.

Um das bestehende Kampfsystem weiterzuentwickeln und zu verbessern, wurden im Jahre 1988 im Luftsturmregiment-40 in LEHNIN bei POTSDAM Lehrgänge im GJOGSUL durchgeführt, dem geheimen und kampferprobten Nahkampfsystem der nordkoreanischen Volksarmee.
(mehr Info's unter "Geschichte - GJOGSUL")

In Auswertung dieser Lehrgangserfahrungen wurde das System "Militärischer Nahkampf" mit geeigneten Elementen des kampferprobten "GJOGSUL" modifiziert. Als Ergebnis war ein hochwirksames Nahkampfsystem entstanden, welches nun überall in der Nationalen Volksarmee und in den Grenztruppen verbreitet wurde.

Die technische Grundlagen des GJOGSUL wurden durch Hauptmann Frank Pelny, einem Lehrgangsteilnehmer, in der "Dokumentation über die Methodische Ausbildung im Gjogsul" (Ag 117 XLIII-03-056-89, Tgb.-Nr.: W/50/89, Az.: 57 20 08), Kommando der Landstreitkräfte der NVA 1989, textlich beschrieben und bildlich dargestellt.

Im selben Jahr erschien das "Handbuch des Übungsleiters für den militärischen Nahkampf" (Ag 117 VIII-03/253-89), 1989, Komitee der Sportorganisation der Grenztruppen der DDR, ebenfalls von Hauptmann Frank Pelny. Diese Broschüre wurde zu einer wichtigen Arbeitsgrundlage für viele Ausbilder.

Im Juni 1989 wurde dann auch KARATE offiziell in der DDR und ihren Streitkräften gestattet. Durch die politische Wende im November 1989 kam es allerdings nicht mehr zu einer wirksamen praktischen Umsetzung dieser Möglichkeit.

Mit der politischen Wende und der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten endete die Entwicklung des Systems Militärischer Nahkampf, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits ein neues Prüfungsprogramm in Vorbereitung war, welches technisch umfangreicher war und die Erfahrungen der GJOGSUL-Lehrgänge und der verschiedenen Strömungen innerhalb der Kommission MNK berücksichtigte.

Eine Gesamtdarstellung des Systems Militärischer Nahkampf, einschließlich des Gjogsul, erfolgte durch Frank Pelny in dem Buch "Gjogsul - Militärischer Nahkampf in der NVA", erschienen 2005 im Verlag Books on Demand Norderstedt / Germany (ISBN 3-8334-2228-9; 352 Seiten; ca. 550 Fotos und Zeichnungen). (mehr Info's unter "SaCO-Artikel - SaCO-Bücher")

Es muss noch erwähnt werden, dass durch das Filmstudio der NVA in Berlin-Biesdorf, Frankenholzer-Weg, auch Ausbildungsfilme zum Thema Militärischer Nahkampf produziert wurden. Stellvertretend seien hier benannt "Nahkampf: Wie ausbilden?" (Anforderungs-Nr. AII/156, 28min., 1983) und "Nahkampf für Spezialisten" (28min., 1987).

Außerdem existierte ein Film über die Nahkampfausbildung der sowjetischen Luftlandetruppen. In Vorbereitung war auch ein Ausbildungsfilm zum GJOGSUL.

Der Militärische Nahkampf war eine Entwicklung der Landstreitkräfte der NVA. Die Luftstreitkräfte/Luftverteidigung, die Volksmarine, insbesondere die Kampfschwimmer, und auch die Grenztruppen übernahmen mit der Zeit Teile oder das komplette System von den Landstreitkräften.

Das Ministerium des Innern (MdI) und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR hatten aufgrund ihrer anders gearteten Aufgaben ein eigenes Systeme entwickelt, welches im Buch "Zweikampfausbildung" (Ministerium des Innern, 1973, AG 106/290/73) beschrieben wurde.
In diesem System gab es nur drei Graduierungsstufen:

Dienstgürtel - Zweikampf

  • Stufe III (weiß-gelber Gürtel)
  • Stufe II (weiß-roter Gürtel)
  • Stufe I (weiß-grüner Gürtel)
Geprüft wurden ausschließlich Selbstverteidigung sowie Transport- und Festlegetechniken.
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